Ich soll loslassen
– Meint meine Freundin.
Alten Ballast abwerfen, sozusagen alte Zöpfe abschneiden, alte Gewohnheiten ablegen, wieder frei werden.
– Meinen meine Kinder.
Nicht immer auf Bekanntem bestehen, mal meine Nase aus dem täglichen Muff heraus und in eine andere Richtung drehen.
Altes Wissen loslassen, geerbte Vasen, alte Bilder und Möbel, sagen sie. Einmal alles neu einrichten. Als ob das so einfach wäre.
Das geht doch ganz einfach, meinen Alle.
Einfach Loslassen und dann neu Anfangen. Wenn ich dann aber antworte, ich würde die Müllabfuhr kommen lassen und das Haus ausräumen lassen, dann meinen meine Kinder, dass ich aber ihre Sachen von meine wirren Aktivitäten verschonen müsste. Den Hasen, der immer nur mein Gesicht vor seinem Haus entdeckt und die Fahrräder, die schon lange Keiner mehr benutzt hat, auch. Ausserdem dürfe auch Dieses und Jenes, z.B. die Luftmatratze, die ich gerade in der Hand hatte, nicht weg, die bräuchten sie schließlich noch.
Alte Zöpfe abschneiden? Als ich neulich im Hippie-Retro-Stil in unserem Lieblingskaffee auftauchte, schaute meine Freundin mich erst von oben bis unten an und meinte: übertreiben müsse ich es ja auch nicht gleich.
Warum soll ich eigentlich all das loslassen, was sie mir vorschlagen, wenn sie selber nicht loslassen können?
Sie wollen doch nur, das ich den Mut und die Kraft und die Zeit aufbringe und ihnen all das vormache, was sie selber nicht schaffen.
Ich denke gar nicht daran! Wenn sie wüssten, wie viele Dinge ich in den letzten Jahren heimlich verschwinden liess, wie häufig die Antwort “das Halstuch habe ich leider verloren” gelogen war, dann würden sie mich nicht immer nach ihren Wünschen verbiegen wollen, sondern mich vielleicht eher fragen, warum ich den so radikal sei.
Aber ich werde Ihnen den Glauben lassen, ich sei ein verstaubter Oldie, unfähig, mal so richtig aufzuräumen und auszumisten, denn so behalten sie und ich genau das, was ich meine, was ihnen gut tut. Und das ist ja wohl das Wichtigste, oder?